Gutachten mahnt fehlende Chancengleichheit zwischen Messeunternehmen in Deutschland an

Er weiß, wovon er spricht: Von 2006 bis 2014 war er Mitglied der Monopolkommission der deutschen Bundesregierung und legte mit seiner wissenschaftlichen Expertise im Bereich der Wettbewerbsökonomie die Grundlagen für die Regulierung netzbasierter Branchen wie Telekommunikation, Elektrizität und Verkehr. Er, das ist Professor Dr. Justus Haucap, der als einer der versiertesten und einflussreichsten Ökonomen in Deutschland gilt.

Jetzt untersuchte der Professor für Wettbewerbstheorie und -politik an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf die „Chancengleichheit am Messestandort Deutschland“. Die Ergebnisse, die im Rahmen der FAMA-Messefachtagung in Hannover vorgestellt wurden, machen deutlich: Durch die Pandemie hat sich die wettbewerbsrechtliche Chancen-Ungleichheit und Asymmetrie im Wettbewerb von öffentlichen und privaten Messeunternehmen nochmals verschärft. Viele private Veranstalter haben das Nachsehen, einige stehen vor dem Aus.

 Hannover. Der Messestandort Deutschland ist weltweit einmalig. Vier der zehn größten Messegelände der Welt sind hier beheimatet, fünf der zehn umsatzstärksten Messeveranstalter sind hier ansässig und zwei Drittel aller weltweiten Leitmessen finden auf deutschem Boden statt.

Doch nicht nur in seiner Leistungsfähigkeit ist der Messestandort Deutschland einzigartig in der Welt – auch in seiner Struktur und dem Geschäftsmodell dahinter. Denn im Unterschied zum „Rest“ der Welt ist das Mutterland der Messen geprägt von öffentlichen Messegesellschaften im Besitz von Stadt und Land sowie privaten, inhabergeführten und verbandsnahen Messeveranstaltern ohne Grund und Boden. Erste betreiben die Geländeinfrastruktur und treten gleichzeitig als Veranstalter mit ihren sogenannten „Eigenmessen“ auf. Zweitere dagegen, vielfach familiengeführte Unternehmen sind „reine“ Gastveranstalter – zwar mit gutem Grund, aber eben ohne eigenen Boden, so dass sie ihre Hallen anmieten müssen.

Defizite in Milliarden-Höhe im zweiten Jahr in Folge

Normalerweise prägen diese Veranstaltungen sie das Messegeschehen in Deutschland zu gut einem Viertel. Doch was ist in der Pandemie schon normal: Mehr als 1.000 Messen wurden seit dem ersten Lockdown allein in Deutschland abgesagt, fast 5.000 sind es weltweit. Und auch im laufenden Jahr erwartet die Branche, dass 70 Prozent der Veranstaltungen nicht stattfinden werden. „Defizite in Milliardenhöhe im zweiten Jahr in Folge“, erwartet deshalb Henning Könicke, geschäftsführender Vorstandsvorsitzender des FAMA. 

Ungleiche Liquiditätshilfen sind ein massiver Markteingriff

Und damit beginnt das eigentliche Problem: Während die Verluste der öffentlichen Messe­gesell­schaften aus Mitteln der Kommunen und Länder ausgeglichen werden und darüber hinaus weitere 642 Millionen Euro vom Bund zur Verfügung stehen, die ausschließlich den Betreibern der Messe- und Kongresszentren zur Überbrückung zufließen, stehen den privaten Veranstaltern lediglich Mittel aus der Überbrückungshilfe III zu. Angesichts des nahezu vollständigen Umsatzausfalls seit März 2020 reichen diese jedoch nicht aus. Die Konsequenzen daraus sind gravierend. Das unterstreicht auch Professor Dr. Justus Haucap in seinem Gutachten: „Die derzeitigen staatlichen Hilfsmaßnahmen für die Messewirtschaft in Deutschland verschärfen die ohnehin bestehende Asymmetrie im deutschen Messemarkt und drohen zur Wettbewerbsverzerrung zwischen öffentlichen und privaten Unternehmen zu werden“, so Professor Dr. Justus Haucap in seinem Gutachten. Denn die zur Verfügung gestellten Mittel dienen keineswegs nur dem Erhalt der Infrastruktur; mit ihnen werden auch die Defizite aus dem operativen Veranstaltungsgeschäft abgefedert: „Diese Konstellation mit den Vorteilen eines eigenen Messegeländes und der öffentlichen finanziellen Absicherung generiert klare Wettbewerbsvorteile“, so Haucap, „das ist so, als würde ein Flughafen gleichzeitig eine Airline betreiben“.

Gefahr der Selbstbevorzugung vertikal integrierter Messegesellschaften

In dieser Konvergenz der Geschäftsmodelle, für die es nach Einschätzung von Haucap keinen öffentlichen Auftrag gebe, nimmt auch der „Reiz der Selbstbevorzugung durch die vertikal integrierte Doppelfunktion als Messeplatzbetreiber und Messeveranstalter zu“. Dazu könne es zählen, dass Benachteiligungen etwa beim Zugang zu Messe-Terminen entstehen und der Marktzutritt bestehender oder potenzieller Wettbewerber behindert werde, da es keinen regulierten Zugang wie beispielsweise beim Schienenverkehr, den Stromnetzen oder der Telekommunikation gebe: „Ohne konkrete Regelungen kann es keine echte Chancengleichheit beziehungsweise einen funktionierenden Wettbewerb am Messestandort Deutschland geben“, so sein abschließendes Fazit.

Code of Conduct als Grundlage für faire Wettbewerbsbedingungen

Eine Grundlage dafür könnte im ersten Schritt Verständigung auf einen „Code of Conduct“ sein, wie ihn der FAMA bereits 2016 vorgelegt hat, um faire Wettbewerbsbedingungen bei der Terminvergabe, dem transparenten und fairen Umgang sowie dem Schutz von Veranstaltungsthemen zu er­möglichen. Bislang wurde dieser Code of Conduct noch von keiner der großen öffentlichen Messegesellschaften unterzeichnet.

Dazu Henning Könicke: „Die Sicherung der Infrastruktur am Messeplatz Deutschland ist zwingend notwendig. Sie ist aus volkswirtschaftlicher Sicht sinnvoll, um die Leistungsfähigkeit des Messestandorts Deutschland zu erhalten. Es ist jedoch sicher nachvollziehbar, dass auch die privaten und verbandseigenen Messeunternehmen, darauf angewiesen sind, dass sie beim Erhalt Ihrer Messen ebenso unterstützt werden und die aktuelle Not-Situation nicht dazu führt, dass die Liquiditätshilfe für die öffentlichen Gesellschaften für Übernahmen und den Aufbau zusätzlicher Wettbewerbsveranstaltungen genutzt werden. Wir jedenfalls sind bereit zum Dialog – mit den öffentlichen Messegesellschaften und der Politik in ihrer ordnungspolitischen Verantwortung“.  Eine weitere Prüfung und Bewertung der Ergebnisse stehe nach seinen Worten noch aus.

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